Pfaffenhofen erinnert an ein trauriges Kapitel seiner Geschichte 

Gedenkstele für verstorbene Kinder von Zwangsarbeiterinnen 

Im Jahr 2023 wurde auf dem Friedhof der Gemeinde Pfaffenhofen eine Gedenkstele errichtet und am Volkstrauertag feierlich eingeweiht. In unmittelbarer Nähe zur Aussegnungshalle, auf dem Platz des ewigen Grabes, erinnert die Stele nicht nur an ein trauriges Ereignis und dunkles Kapitel in der Ortsgeschichte, sondern ist vor allem eine Erinnerung an 18 Säuglinge und Kleinkinder, die in den Jahren 1944 und 1945 in einem sogenannten „Säuglingsheim“ der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) in Pfaffenhofen ums Leben kamen. Es waren Kinder von Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, die während des Zweiten Weltkriegs hier im Umland zur Arbeit gezwungen wurden.

 

Untergebracht waren die Kinder in einem Säuglings- oder auch Entbindungsheim genannten „Kinderhort“. Ein kriegsbedingt leer stehendes Gebäude im Ortskern hatten die Nationalsozialisten dafür beschlagnahmt. Die Bezeichnung „Kinderhort“ diente nach heutiger Einschätzung jedoch nur dem Zweck, die Anstalt der NSV als wohltätige Einrichtung erscheinen zu lassen – was sie aber überhaupt nicht war. Es war kein Hort der Schutz, Geborgenheit und Fürsorge für die Neugeborenen bot, sondern vielmehr war es ein Ort des Leidens und des Sterbens für viele der oft nur wenige Wochen alten Kinder. 

 

Bis zu 100 Kinderbetten waren in dem kahlen Rohbauraum aufgestellt, die hygienische Bedingungen katastrophal und ärztliche Versorgung gab es so gut wie keine. Es gab kein fließendes Wasser, keine ausreichende Ernährung und erst recht keine säuglingsgerechte Pflege. Aus der Umgebung brachten hilfsbereite Menschen heißes Wasser und Tücher – aus Nächstenliebe. Aber auch das konnte das Elend nicht aufhalten. Die Kinder starben an Unterernährung, mangelnder Pflege und unzureichender medizinischer Versorgung. Ihre sterblichen Überreste wurden in Pappkartons an der Westmauer des damaligen Friedhofsteils beigesetzt. Nach dem Krieg wurden nicht abgeholte Kinder durch die US-Ar­mee betreut. Die Eigentümerin des Gebäudes habe mit Kinderkleidern ausgeholfen, erinnern sich Zeitzeugen aus der Nachbarschaft.

 

Nationalsozialistische Volkswohlfahrt war Zuständig

 

Eingerichtet und betrieben wurde das so genannte Säuglingsheim ausschließlich von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) unter der deutschen Leiterin, Frau Böttcher. Die russische Wirtschaftsführerin Olga hatte vier polnische Helferinnen, erinnern sich Zeitzeugen. Andere sprechen von einer deutschen Wirtschaftsführerin, die der Einrichtung vorstand und polnischen Helferinnen. Historiker Dr. Otfried Kies berichtet in den Heimatblättern des Zabergäuvereins (Heft 1, 2021), zur Geschichte des „Kinderhorts“, dass die Berichte der Zeitzeugen zu dem ab 1943 in Pfaffenhofen betriebenen Hort zwar widersprüchlich sind, dies habe seinen Grund aber vor allem darin, dass die Gemeinde und ihre Verwaltung – auch mittelbar – keinerlei Einfluss auf das Heim hatte und weder personell, finanziell, noch organisatorisch (etwa in Auftragsverwaltung) beteiligt war, daher auch nur über die standesamtliche Registrierung von Geburten und Todesfällen Einblick in das Geschehen in dieser Anstalt hatte und dokumentieren konnte. Hinzu kam natürlich auch die strenge Geheimhaltung, die dann die Gerüchteküche umso mehr brodeln lies. 

 

Aus den Unterlagen der Gemeindepflege geht nichts über ein Entbindungsheim, Kinderhort oder Personal hervor. Einzig und allein Zuständig war die NSV, die hier die Kreisbauernschaft für ihre Ziele einspannte, indem sie ihr die Fürsorge für die werdenden Mütter, die landwirtschaftlichen Zwangsarbeiterinnen, und deren Kinder abzunehmen schien. Die im ganzen Kreis Heilbronn beschäftigten, meist ledigen Mütter in ihren frühen zwanziger Jahren konnten so kurz nach der Geburt wieder ihrer kriegswichtigen Landarbeit zugeführt werden.

 

Leid und Ungerechtigkeit nach Kriegsende

 

Nur sonntags konnten die jungen Mütter ihre Kinder für ein paar Stunden besuchen. Doch mit dem Tod ihrer Kinder endete das Leid der Frauen noch lange nicht. Als sie nach Kriegsende in ihre Heimat zurückkehrten erwartete sie kein Trost, keine Hilfe, sondern ein weiteres Trauma: Man beschuldigte sie der Kollaboration mit dem Feind und steckte viele von ihnen erneut in Lager. Welches Ausmaß an Leid und Ungerechtigkeit diesen Frauen widerfuhr ist heute nur schwer vorstellbar.

 

Zwischen April 1944 bis März 1945 wurden vom Standesamt Pfaffenhofen insgesamt 18 von der ehemaligen Gemeindehebamme Pauline Sinn begleitete und bezeugte Geburten im „Kinderheim“ registriert: acht polnische, sechs ukrainische und vier russische Kinder. 

 

Ihre Namen, Geburts- und Sterbedaten stehen auf einer Bronzetafel an der Stele. Ihre Mütter kamen aus dem gesamten Landkreis Heilbronn. Unter anderem aus Cleebronn, Kleingartach, Lauffen, Schozach, Eberstadt, Massenbach, Jagsthausen und Neckargartach. Die inneren Kämpfe und das Leid dieser Frauen lässt sich nur erahnen – und doch bleibt das Geschehene ein unauslöschlicher Teil der Geschichte Pfaffenhofens, wie Bürgermeisterin Carmen Kieninger bei der Einweihung betonte. Es sei heute die Verantwortung der Gemeinde, das Geschehene nicht zu verdrängen, sondern sich ihrer Geschichte zu stellen. „Es hätte auch überall anders im Land sein können – aber es war hier. Und deshalb ist es unsere Aufgabe, zu erinnern und zu mahnen. Der Gedenkstein soll ein Zeichen dafür sein, dass jedes Leben wertvoll ist – unabhängig von Herkunft, Religion oder Alter“, so Kieninger.

 

Bürgerengagement ermöglichte diesen Ort der Erinnerung und Mahnung

Die Errichtung der Gedenkstele geht auf eine Initiative aus der Bürgerschaft zurück. Besonders hervorzuheben sind die früheren Gemeinderätinnen Angela Tränkle und Gertrud Schreck, die sich gemeinsam mit dem Zabergäuverein über Jahre hinweg für eine Erinnerungsstätte starkgemacht haben. Historische Grundlagen lieferte der Historiker Dr. Otfried Kies. 

 

Der damals in Güglingen lebende Künstler Gunther Stilling, einst selbst  Bürger Pfaffenhofens, fertigte die künstlerische Plastik auf der Stele an und stiftete das Kunstwerk. Die Gedenkfeier war das Ergebnis eines beeindruckenden bürgerschaftlichen Zusammenwirkens, getragen von Mitgefühl, historischem Bewusstsein und dem Wunsch, Verantwortung zu übernehmen.

 

Die Einweihung der Erinnerungsstätte wurde von Pfarrer Johannes Wendnagel, dem Posaunenchor und zahlreichen Bürgerinnen und Bürgern würdevoll begleitet. Drei Konfirmanden der Kirchengemeinde verlasen die Namen der Kinder und legten jeweils eine weiße Blume nieder.

 

Ein Mahnmal für die Zukunft

 

Mit dieser Gedenkstele hat die Erinnerung Gestalt angenommen. Sie ist Mahnung und Hoffnung zugleich: Mahnung an das, was geschehen ist – und Hoffnung auf eine Zukunft, in der Menschlichkeit und Frieden über Hass und Gewalt siegen. Die Gemeinde Pfaffenhofen bedankt sich bei allen, die durch ihr Engagement, ihre Spenden und ihre Unterstützung zum Entstehen dieser wichtigen Erinnerungsstätte beigetragen haben.

 

Enthüllung des Gedenkstein für die im ehemaligen „Nazi-Hort“ gestorbenen Kinder am 19. November 2023

 

- Rede von Frau Bürgermeisterin Kieninger